Seit gut 30 Jahren können die Deutschen dabei zusehen, wie ihr liebstes Kind, der Zins, einen schleichenden Tod stirbt. Betrug die Umlaufrendite (als Durchschnittsrendite von Anleihen bester Bonität mit Restlaufzeiten von 3 bis 30 Jahren DIE Referenzgröße für das Marktniveau des Zinses) zu Beginn der 1980er Jahre noch 7-9 Prozent p.a., hat sie sich inzwischen bei 0,15% und weniger eingependelt.
Keine attraktiven Zinsen mehr
Die deutschen Sparer ächzen und stöhnen, werfen doch ihre Banksparpläne und Tagesgeldkonten nichts mehr ab, und auch die Lebens- und Rentenversicherungen klassischer Bauart drohen zu verhungern. Der Internationale Währungsfonds warnt gar vor einer Systemkrise, die von deutschen Versicherern ausgehen kann. Das klingt schrill, ist aber gar nicht so weit hergeholt. Sieht man sich nämlich einmal allein die durchschnittlichen Garantieverpflichtungen von gut 2,7% im Bestand der Versicherer an und stellt diese in Relation zur Umlaufrendite, so steigert dies nicht unbedingt die Zuversicht auf auskömmliche Erträge (wer es gruselig mag, möge bitte einmal “§ 89 VAG” in seine favorisierte Suchmaschine eingeben).
Trügerische Sicherheit
Nun liegen aber Billionenbeträge in diesen vom deutschen Sparer als “sicher” erachteten Anlagen. Was Liquiditätsreserven auf Tagesgeldkonten betrifft, wird die Kröte einer negativen Realverzinsung zu schlucken sein. Bei längeren Anlagehorizonten aber bedarf es spitzer Bleistifte und kühler Köpfe:
1. Ich habe bereits eine Lebens-/Rentenversicherung? Prüfung tut not! Verlasse ich mich auf eventuelle hohe Garantieversprechen aus der Vergangenheit? Schließlich gab es in den späten 1990er Jahren bis zu 4% (vor Kosten!). Und verlasse ich mich dabei auf die Beständigkeit meines Versicherers? IWF und Bundesbank sehen durchaus Versicherer bedroht, wenn die Niedrigzinsen noch länger anhalten. Zu prüfen ist auch die Restlaufzeit bis zur Auszahlung. Je länger diese ist, desto eher sollten Alternativen geprüft werden.
2. Ich trage mich mit dem Gedanken einer Investition, z.B. für die Altersvorsorge. Aber was tun? Lässt man spekulative Märkte wie Währungen und Rohstoffe außen vor, bleiben Otto Normalvorsorger die Anlageklassen festverzinsliche Wertpapiere (siehe oben…), Immobilien und Aktien. Oder die Kopf-in-den-Sand-”Strategie”.
a) Immobilien: äußerst beliebt, da man sie anfassen kann und sie ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Die eigengenutzte Immobilie allein wird keine Lösung sein, da abbezahltes (aber dann 30 Jahre altes) Haus plus schmale gesetzliche Rente im Alter schwerlich reichen. Und für Vermietungsobjekte (bitte nur in guter Lage, aber da schlägt die Teuerung der letzten Jahre zu!) wird in der Regel ein Darlehen aufgenommen werden müssen. Das passt auf den ersten Blick zu den niedrigen Zinsen. Man wird sich dennoch mit der Vermietung, Ansprüchen seiner Mieter, Verwaltung und nicht zuletzt der Bildung von Rücklagen für Reparaturen und Renovierungen befassen müssen. Das schmeckt nicht jedem.
b) Aktienfonds: man kann sie online kaufen, als kostengünstige Indexfonds, im Versicherungsmantel undundund… Leider sind sie Otto Normalvorsorge meist nicht geheuer. Leider, denn die Finanzwissenschaft weiß, dass Verlustrisiken bei Laufzeiten von spätestens 15 Jahren verschwinden und die Aktie die letztlich lukrativste Anlage darstellt. Leider, weil der Kauf der Telekom-Aktie durch den Vater in den 1990ern sich bis heute als emotionale Brandmarke in der Familienhistorie festgesetzt hat und den Blick dafür versperrt, das Einzelaktien mit Streuung von Vermögen UND Risiko nichts zu tun haben. Und leider, da Otto Normalvorsorger bereits morgens, bevor er das Haus verlässt, bei einer Reihe börsennotierter Unternehmen (Zahnpasta! Shampoo! Brotaufstrich!) die Kassen klingeln lässt, aber nicht daran partizipiert…
c) Kopf-in-den-Sand-”Strategie”: wenn mir das alles zuviel wird und ich mal wieder feststelle, dass ich ja auch heute lebe und nicht weiß, was morgen ist, geschweige denn in 30 Jahren – dann lasse ich selbst meine eher mageren 100 EUR monatlich lieber in den Konsum fließen. Klar, mir fehlen dann schon einmal – ohne jede Rendite gerechnet – mindestens 36.000 EUR in 30 Jahren, aber…
d) Soll ich doch in eine klassische Rentenversicherung investieren? Zunächst gilt c) und die Erkenntnis, dass Nichtstun das schlechteste Ablaufergebnis hat. Dann gilt aber unbedingt, die Solidität des zu wählenden Versicherers in den Mittelpunkt zu stellen und keine halbgaren Modellrechnungen. Wer eine solche Auswahl noch mit Eigen- und Kinderzulage bei der Riesterrente verbindet oder mit Arbeitgeberzuschüssen in der betrieblichen Altersvorsorge, hat immer noch Chance auf attraktive Renditen. Außerdem werden die Versicherer nicht müde zu betonen, dass hier nicht zwingend die Rendite, sondern die Absicherung des “Langlebigkeitsrisikos” im Vordergrund steht.
Abseits staatlicher Förderungen stellt sich die Frage, ob Garantien überhaupt noch attraktiv sind. Hierzu kann man geteilter Meinung sein. Wichtig ist nur, Garantie nicht mit Sicherheit zu verwechseln, das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Marktlage!
Warum aber ist nun der Zinstod schlimmer als der Lehman-Crash?
An den Börsen ist der Rückschlag und mitunter der Crash die Regel und nicht die Ausnahme. Er gilt als Korrektur von Übertreibungen. Die Börse erholt sich vergleichsweise schnell wieder und liefert langfristig die attraktivsten Renditen. Das gilt und galt auch nach Lehman. Der Patient hatte zwar einige üble Prellungen, Schürfwunden, Blutergüsse und den Arm in Gips. Doch er hat sich wieder vollständig erholt.
Der Patient Zins dagegen siecht seit 30 Jahren dahin und verabschiedet sich aktuell in Richtung Nulllinie. Eine Erholung kann lange dauern und beinhaltet wieder ganz eigene Risiken (Stichwort Kurswerte von Anleihen). Seine Prognose ist vorerst miserabel.
Aufgrund fehlender Börsenkultur war das kollektive Leid nach der Lehman-Pleite hierzulande sehr überschaubar (und, wie geschrieben: temporär, wie nach jeder Korrektur!). Die einseitige Zinskultur aber hat dazu geführt, dass eine erdrückende Mehrheit der Deutschen eine erdrückende Mehrheit ihrer Ersparnisse in Anlagen steckt, die keine Erträge mehr abwerfen…